Es sind Osterferien, und ich hab die ersten sechs Wochen meines Berufsumstiegs (aka Referendariat) überstanden. Zeit für ein paar zusammenhanglose, unsystematische Gedanken, Zusammenfassungen und Beobachtungen.
Die Schule
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Ich bin an einem zutiefst bürgerlichen Gymnasium gelandet. Das äußert sich zum einen darin, dass hier sehr lernstarke und anpassungsbereite Kinder von Eltern mit großer Bildungsaspiration zur Schule gehen. Zum anderen darin, dass Wert auf Distinktion gelegt wird und das Thema Inklusion eigentlich nicht präsent ist.
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Die Kinder sind nicht nur lernstark, sondern auch sehr motiviert und lernwillig. Wenn man denen sagt, “schlagt das Buch auf”, dann schlagen die das Buch auf, und zwar alle und sofort. Woher diese Motivation kommt, sei mal dahingestellt. Es ist definitiv keine primär intrinsische, dafür wird zu sehr auf Noten geschaut, die Kurswahl in der Oberstufe geht nicht nur nach Interessen, sondern wird vor allem im Hinblick auf die Abitur-Note sehr genau kalkuliert.
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Gefühlt 90% des Unterrichts ist klassischer Frontalunterricht. Das ist nicht neu, aber es wundert mich immer wieder, wie modernere pädagogische Erkenntnisse in den Gymnasien weitgehend ignoriert werden.
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Was für den Unterricht gilt, macht sich auch an der gesamten Institution unangenehm bemerkbar: Es wird gearbeitet wie vor 30 Jahren: Papier, noch mehr Papier, jede Menge Papier… Das führt uns zum unangenehmen Thema:
Digitale Medien
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Ich wusste, dass es schlimm ist, und trotzdem bin ich kaum fähig, es zu ertragen. Im wesentlichen sind digitale Medien im Unterricht kein Thema. Der Stand von Methodik und Technik ist an vielen noch nicht mal der, den ich schon vor 15 Jahren in der Lehrerausbildung den Studierenden versucht habe nahezubringen.
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Es gibt immerhin in fast allen Unterrichtsräumen einigermaßen belastbares und schnelles WLAN. Das ist gut. Nicht gut ist –siehe oben–, dass es kaum genutzt wird.
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Gut ist eigentlich auch, dass fast jeder Klassenraum einen Beamer hat. Aber: der ist fest installiert an einem PC in einem Schrank. Das heißt zum einen, dass eine Nutzung des eigenen Laptops oder Tablets mit diesem Beamer normalerweise nicht möglich ist. Zum anderen muss ich dadurch immer zum Schreiben an den Rechner in der Ecke, was unterrichtstechnisch oft kontraproduktiv ist. Ich umgehe das Problem jetzt mit einem privat angeschafften Wireless HDMI Adapter. Der funktioniert natürlich nicht mit Linux, aber hey, mal nicht übermütig werden. Immerhin lässt sich nun der eigene Rechner nutzen.
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Es gibt sogar zwei(!) Smartboards. Nutzt aber auch niemand. Neulich hab ich in einer Vertretungsstunde mal das Glück gehabt, in einem der zwei Klassenräume mit Smartboard unterrichten zu können. Selbst die Klasse, bei der das Teil in fast jeder Stunde einsetzbar wäre, hat bislang kaum Erfahrungen mit dem Gerät. Ich hab dann in der letzten halben Stunde (Freiarbeit) gefragt, wer denn Lust hätte, das Board einfach mal auszuprobieren und habe ungläubige Blicke geerntet. Fünf Kinder haben sich getraut und dann nach einer kurzen Eingewöhnung mit großer Begeisterung spannende Sachen ausprobiert. Schöne Erfahrung.
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Für den Unterricht wenig genutzt ist auch die offizielle Lernplattform in Bremen, itslearning. Persönlich würde ich ja eher Open Source (Moodle) vorziehen, aber es hat Vorteile, dass es eine Plattform gibt, für die alle SchülerInnen einen Account haben und die deshalb sofort einsetzbar ist. Ich hab die Plattform von Anfang an in meinem Politik-Unterricht eingeführt und benutze die im Wesentlichen zur Dateiablage und Ergebnissicherung. Für kollaboratives Arbeiten, noch dazu im Unterricht, eignet die Plattform sich m.E. nicht so gut, aber vielleicht muss ich mich da auch noch mehr einarbeiten. Irgendwann führe ich dann so modernes Zeug wie Etherpad, Wikis oder Padlet ein. ;-)
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itslearning wird schulintern auch als Ablage für Stundenpläne etc. genutzt. Kommunikation findet über die Plattform nicht statt.
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interne Kommunikation läuft im Wesentlichen über: Gespräche in der Pause im Lehrerzimmer, Handzettel und sonstige Papiere im Postfach, Aushänge im Lehrerzimmer, und ein ganz kleines bisschen auch über E-Mail. Auf letzteres sollte man sich aber nicht verlassen. Ich träume von Slack.
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Handys sind für die SchülerInnen in der Schule –natürlich– verboten. Nutzung im Unterricht ist immerhin erlaubt, aber nicht üblich. Ich hab in meinem Unterricht ausdrücklich darum gebeten, dass jede*r sein/ihr Smartphone immer dabei hat, damit es im Zweifelsfall verfügbar ist. Und alle mussten sich itslearning installieren. BYOD, einfach machen.
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Es gibt immerhin einen im Hinblick auf Digitale Medien sehr aktiven und begeisterten Lehrer, der zufällig auch Politik unterrichtet und mit dem ich sofort auf einer Wellenlänge war. Ich bin ziemlich glücklich, dass der Kollege sich bereit erklärt hat, mein Mentor zu sein. Das erleichtert mir das Leben als Referendar doch sehr und lässt mich ein bisschen –zumindest im Hinblick auf das Thema Digitale Medien– zuversichtlicher nach vorne schauen.
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In der Ausbildung im Landesinstitut für Schule (LIS) gab es zwar in der Einführungswoche einen Medientag, aber das war’s dann auch. In den Seminaren werden digitale Medien weder eingesetzt (außer für Dateiablage auf itslearning oder in Dropbox), noch werden sie thematisiert (im Bildungswissenschafts-Seminar (BW) machen jetzt zwei Referendare den Workshop zu Digitalen Medien, einer davon natürlich meine Wenigkeit).
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Die Seminarleiterin in BW ist eine erfahrene und gute Seminarleiterin, aber sie sagt ganz deutlich, dass das Thema Digitale Medien nicht ihrs ist. Das äußert sich dann u.a. daran, dass sie Overhead-Folien auflegt (während das daneben stehende Smartboard ungenutzt bleibt) oder mit Schere und Kleber arbeiten lässt. Das ist alles nicht ihre ‘Schuld’, es kann nicht die persönliche Verantwortung der SeminarleiterInnen sein, das Thema in die Ausbildung einzubringen. Das muss prinzipiell und konzeptionell in der Ausbildungsordnung verankert und in alle Seminare intensiv integriert werden.
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Insgesamt ist das Thema Digitalisierung von Schule und Unterricht für mich ein sehr frustrierendes. Ich schwanke extrem zwischen “Ich will das ändern” (tatsächlich eine meiner stärksten Motivationen, den Jobwechsel zum Lehrer noch zu wagen; naiv, wie mir jetzt scheint) und “Das halt ich nicht aus”. Eine andere Seminarleiterin im LIS, zufällig eine ehemalige Kommilitonin von mir, sagte mir neulich, ich solle durchhalten, die Digitalisierung würde sie alle bald überrollen und es brauche Leute, die Lust dazu und Ahnung davon hätten. Vielleicht ist das so, aber man muss dafür leider erstmal ganz viel von den veralteten Methoden und Strukturen des letzten Jahrtausends überstehen.
Unterricht
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Unterrichten macht tatsächlich Spaß! Der Umgang mit den Kindern ist, soweit ich das nach vier Wochen Unterrichten schon sagen kann, erfüllend. Etwas, was ich mir ja auch von dem #Lehrerwerden versprochen habe.
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Ich unterrichte seit dem Start in der Schule sechs Wochenstunden: zwei Sportkurse (8. und 10.) und einen Politikkurs (10.). Die Ausbildungsverordnung sagt zwar, dass Referendare im ersten Halbjahr keinen eigenverantwortlichen Unterricht geben sollten, erlaubt dies aber trotzdem mit maximal sechs Wochenstunden. Natürlich war das der klassische Fall von ‘ins kalte Wasser geworfen werden’, und es war auch schwierig, weil ich die ersten Wochen eigentlich nur von der Hand in den Mund gelebt habe, sprich: eigentlich nicht wirklich konzeptionell und strukturell den Unterricht vorbereiten konnte. Das versuche ich jetzt in den Osterferien nachzuholen.
Persönlicher Status
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Mir fällt der Umstieg durchaus auch schwer, und ich bin trotz aller Neubeginnsfreude und -euphorie gelegentlich von Zweifeln und Reue geplagt (etwas was ich sonst eigentlich gar nicht kenne). Das liegt zum einen tatsächlich an den von mir wirklich als sehr quälend empfundenen Status der Digitalisierung in Schule und Bildung. Es würde soviel mehr Spaß machen, so vieles erleichtern, wenn der Einsatz von Internet und Digital-Geräten selbstverständlicher wäre, wenn Schule und Lehrerausbildung für die Zukunft ausbilden, für eine zeitgemäße Bildung stehen und nicht mit den Methoden der Vergangenheit für eine zunehmend ungewisse, aber ganz bestimmt digitale Zukunft ausbilden würden. Der eklatante und an einigen Stellen geradezu absurde Unterschied zwischen dem Soll- und Istzustand ist für mich nur sehr schwer auszuhalten, und ich muss noch an meinem dicken Fell arbeiten. Womöglich ist das auch schlicht der berühmte Praxisschock mit einer in meinem Fall aufgrund des ungewöhnlichen Alters und Berufserfahrungsstands vielleicht speziellen Ausprägung.
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Zum anderen vermisse ich auch das Programmieren, das Versenken in den Code, das ‘Problem-Solving’, das Ausprobieren neuer Techniken. Ich hatte mich die letzten zwei Jahre ein bisschen in das Thema funktionale Programmierung eingearbeitet und ich würde das liebend gerne weitermachen. Ich liebe meine Linux-Rechner, meinen Vim, Xmonad und das Terminal. Alles nicht wirklich gefragt in Schule. Auch das wusste ich natürlich vorher, aber innerlich losgelassen hab ich noch nicht. Was passieren würde, wenn ich morgen ein ansprechendes Jobangebot als Programmierer bekommen würde, kann ich nicht wirklich sagen.
Fazit: Das Unterrichten und der Umgang mit den Kindern und Jugendlichen ist schön, die Institution Schule, die Ausbildung, das Thema Digitalisierung und der ganz persönliche Umstieg sind problematisch und schwierig. Durchhalte-Kommentare sind willkommen!
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