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Kinder statt Ökonomen

Große Änderungen: nach ingesamt mehr als zehn Jahren als Programmierer von Open-Access und Open-Data Plattformen habe ich meine Stelle bei der ZBW gekündigt, verlasse sowohl die Bibliothekswelt als auch das professionelle Programmieren und werde: Lehrer.

Das kann mensch schon als ziemlich gewagten und auch ‘schrägen’ Schritt betrachten, zumal in meinem Alter und mit drei Kindern. Normalerweise macht man sowas mit einer unbefristeten TV-L13 Stelle im Öffentlichen Dienst vielleicht nicht. Meine Gründe für diesen Schritt sind vielfältig und ich versuche im folgenden mal, das annähernd verständlich zu machen. Eins vorweg: leicht gefallen ist mir die Entscheidung wahrlich nicht. Und bitte verzeiht, dass das folgende auch ein bisschen selbstreflexiv ist.

Back to my roots

Um zu verstehen, wieso ich jetzt ausgerechnet auf Lehrer komme, fange ich am besten mit meiner Vergangenheit an. Ich hab nämlich in grauer Vorzeit mal Lehramt studiert (Politik und Sport) und habe ein Staatsexamen (so hießen zu meiner Zeit die entsprechenden Abschlüsse, das für die jüngeren Leser ;-). Ich bin dann nur deshalb nicht (womöglich arbeitsloser, damals wurden Lehrer nicht wirklich viel eingestellt) Lehrer geworden, weil mein Professor sagte, ich sollte mal meine offenbar ganz ordentliche Examensarbeit vertiefen und dann promovieren. Fand ich gut, fanden andere auch gut, und es wurde sogar mit Stipendien von der Uni und der FES zeitweise finanziert, den Rest hab ich mir zuerst in einem Forschungsprojekt dazuverdient, in dem ich sehr viel gelernt habe, und dann auf einer Wimi-Stelle an der Uni im Bereich der Erwachsenenbildung und Politikwissenschaft.

Viel mit Schule und Pädagogik hatte das damals nicht zu tun, und ich hab’ da auch nicht viel dran gedacht, aber dann kam sie mit voller Wucht zurück. Auslöser war wieder ein Professor. Ich hatte seit ca. 1993 mich sehr für das gerade erblühende Web interessiert und auch angefangen, Webseiten zu ‘programmieren’. Da war ich damals in dem Bereich, in dem ich arbeitete so ziemlich der Einzige, was dann in die bereits erwähnte Stelle (da habe ich u.a. einen Kollaborations-Server für europäische Erwachsenenbildner gebaut) mündete. Und so Ende der 1990er sagte dieser Prof zu mir (der damals glaub ich Dekan des Pädagogik-Fachbereichs war), ob ich nicht Interesse hätte, für Lehramtsstudierende Veranstaltungen zum Thema “Lernen und Internet” anzubieten. Hatte ich, und schon war ich drin im Thema ‘Digitale Medien und Bildung’. In meinen ersten Veranstaltungen hatte ich jeweils so ca. 200 Studierende, was daran lag, dass ich a) der erste war, der sowas anbot und b) auch der einzige (was sich bald schnell änderte). Da hatte ich plötzlich die Pädagogik wieder, und ich sah sie aus einer völlig anderen Perspektive, als während meines Lehrer-Studiums, das damals doch noch sehr in den Konzepten der 1970er und 1980er Jahre fußte. Durch die Betrachtung aus der Perspektive von Internet und digitalen Medien gewann die Pädagogik eine ganz neue Faszination. Plötzlich interessierte ich mich für Konstruktivismus, selbstgesteuertes und/oder forschendes Lernen, Interaktion… Es machte einen Riesen-Spaß, das alles zu entdecken und zu vermitteln, das beste war, dass sich das alles wunderbar mit meinem sehr intensiven Interesse an Internet und Programmieren verbinden ließ. Ab ca. 2000 arbeitete ich auch nebenberuflich als Web-Programmierer, hauptsächlich im Uni-Bereich, aber auch für externe Kunden. Außerdem schloss ich dann 2001 noch meine Promotion ab (mit summa cum laude, lasst mich bitte auch mal ein bisschen angeben ;-).

So richtig gut wurde das mit Bildung und Digitalen Medien dann in meinen zwei Jahren in der Informatik bei Heidi Schelhowe, der ich noch heute freundschaftlich und dankbar verbunden bin. Heidi und die dort tätigen MitarbeiterInnen hatten die dieselbe Idee von Digitalen Medien, von Informatik, Pädagogik und von der Verknüpfung all dieser Themenbereiche. Und vor allem herrschte in der Arbeitsgruppe ein Klima von Wertschätzung, Experimentierfreude, wissenschaftlicher und pädagogischer Neugierde und einer großen Bereitschaft, querzudenken, das ich zu meinem allergrößten Bedauern nie wieder irgendwo anders gefunden habe. Leider trat dann ein sehr restriktives Hochschul-Befristungsgesetz in Kraft, das es mir unmöglich machte, dort weiterzuarbeiten, sonst wäre ich womöglich immer noch da.

Ich entschied mich dann gegen die Pädagogik (und auch das Lehrersein, was ich kurz ausprobiert hatte), weil ich doch lieber weiter und mehr programmieren wollte. Nach zwei Jahren als Freelancer kam ich 2007 als Plone-Entwickler zum Institut für Weltwirtschaft und von da 2009 zur ZBW, wo ich seitdem das Open-Access E-Journal sowie später das Forschungsdaten Projekt EDaWaX und die daraus entstandene Plattform ZBW Journal Data Archive technisch verantworte.

Also, zehn Jahre wenig bis null Berührungspunkte mit Pädagogik, Bildung und Schule. Ich programmierte und ich war glücklich damit, weil ich permanent lernen konnte und musste, weil ich es vor dem für mich ideell sehr wichtigen Hintergrund von Open-Access und Open-Science tun konnte, und weil die ZBW mir mit bis zu vier Homeoffice-Tagen pro Woche sehr gute Bedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bot. Ich hatte inzwischen 3 Kinder, und es war völlig klar, dass ich die genauso viel betreue wie meine ebenfalls meistens voll berufstätige Frau.

Warum also nun dieser Wechsel, der Schritt zurück zu den Wurzeln?

Time for Change

Wie immer kommt bei sowas ja eine Menge zusammen. Tatsächlich hab ich mir –und das ist bei meinem Alter wahrscheinlich der klassische Midlife-Crisis-Komplex– die Frage gestellt, ob ich denn nun die Programmiererei bei aller Freude daran und bei allen Vorteilen, die der Job hatte, bis ans Ende meiner beruflichen Tage machen wollte. Ich sah mich mit 65 vorm Rechner sitzen, mühsam die Frameworks or whatever dann angesagt ist von 30 Jahre (mindestens!) jüngeren Programmierern benutzend und ansonsten still und leise auf die Rente wartend. Das Bild beunruhigte mich… Es beunruhigte mich auch deshalb, weil ich durch die Übernahme des Trainings der G-Jugend meines jüngsten Sohnes plötzlich wieder Gefallen fand an ‘Sportunterricht’ (siehe oben, ich hab das studiert) und merkte, hey, ich kann das noch und es gibt mir persönlich richtig viel. Die Saat war also da, und innerlich begann ich den Boden des Wechsels schon zu bereiten. Aber: ich wischte das erstmal weg und versuchte, die familienorganisatorischen Vorteile des Jobs, die sichere und gar nicht schlechte Bezahlung und meine Freude am Programmieren in den Vordergrund zu stellen. Alles was da noch fehlte, konnte man sich ja auch außerhalb suchen.

Dann aber kam der Brocken, der schließlich die ganze Lawine ins Rollen brachte. Der ‘Brocken’ war ein interner Konflikt, auf den ich hier nicht näher eingehen kann und sollte. Nur soviel: die Art und Weise, wie und warum da gegen mein Familien- und Arbeitsmodell vorgegangen wurde, trotzdem ich –wie mir von allen Seiten bescheinigt wurde– gute Arbeit leistete, war schockierend und unverständlich für mich (und auch viele andere) und stürzte mich in einen tiefen und krisenhaften Nachdenkprozess.

Im Nachhinein war klar, dass ich unter diesen Voraussetzungen und mit meinen ohnehin schon vorhandenen Zweifeln an meiner beruflichen Zukunft nicht mehr bei der ZBW bleiben konnte. Der Prozess bis zu dieser Erkenntnis war allerdings ein recht schmerzhafter, was aber wohl auch normal ist. Schnell spitzte sich in diesem Prozess angesichts der oben geschilderten positiven Erfahrungen mit den Kindern beim Fußballtraining, mit der meine pädagogische Ader wieder voll aufgeweckt war, die Entscheidung auf die Frage zu, ob ich auf den eingefahrenen Wegen mit allen Vor- und Nachteilen bleibe, oder ob ich noch mal was ganz Neues wage und von vorne anfange. Ich entschied mich fürs Neue, alles andere wäre vielleicht sicherer, aber gefühlt auch unpassender gewesen. An dieser Stelle auch noch mal mein Dank an Pia Ziefle, die in einem Blogeintrag, auf den ich zufällig an dem Tag stieß, an dem ich meine Entscheidung treffen musste, genau den passenden Text schrieb:

Pia Ziefle Text

Kinder statt Ökonomen

Seit dieser Entscheidung geht es mir bei allen Ängsten, allem Hadern und bei allem Wissen darum, dass mir das Programmieren sehr fehlen wird, erheblich besser. Und tatsächlich: die Zukunft erscheint plötzlich zwar unsicherer, aber erheblich spannender, erfüllender und lebendiger: Kinder statt Ökonomen heißt das Motto, und die Perspektive gefällt mir sehr gut und bringt mich zum Lächeln.

Und ich freue mich wirklich sehr, dass ich wieder an meine Zeit in der Pädagogik anschließen kann. Ich werde mich wieder intensiv mit Digitalen Medien in der Bildung und neuen Lernformen befassen, an einem Ort, der es immer noch bitter nötig hat. Und als neues Feld öffnet sich auch gerade das Thema Open Educational Resources.

Das ganze ist im Übrigen auch (erstmal) mit erheblichen finanziellen Einbußen verbunden, weil ich ja noch mal eben schnell das Referendariat machen muss. Das geht, weil meine wunderbare Frau auch arbeitet und überhaupt die allergrößte Stütze für diesen Schritt ist.

Also, am 1.2. geht’s los, und hier wird dann hoffentlich eine Menge darüber zu lesen sein.

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