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Wir brauchen auch Conference 2.0

Bild: Maximilian Schönherr (Wikipedia Commons)

Eins mal vorweg: ich bin grundsätzlich kein großer Fan von Konferenzen, noch nie gewesen. Ich bin auch nicht oft auf welchen, nur wenn es beruflich halt mal sein muss, wenn Thema und Vortragende einfach zu interessant sind, oder wenn ich sogar mal selbst einen Vortrag halten darf (das ist der seltenste Fall, weil ich reiche auch nicht oft was ein). Insofern bin ich natürlich voreingenommen. Ich sitze grundsätzlich lieber am Schreibtisch, programmiere, lese, schreibe, twittere und sehe mir gegebenenfalls Livestreams von Konferenzen an. Hinzu kommen meine grundsätzlichen Zeitprobleme als Vater dreier kleiner Kinder und als Ehemann einer ebenfalls Vollzeit arbeitenden wunderbaren Frau: man kann da nicht so einfach mal drei Tage weg bleiben.

Trotzdem hätte ich es gerne, dass Konferenzen anders sind, vielleicht so, dass sie sogar mir Spaß machen und inhaltlich wirklich was bringen würden und ich den daraus resultierenden Familien-Orga-Stress leichter in Kauf nehmen würde. Ich hoffe und meine, dass ich da nicht der einzige bin, und vielleicht fällt euch ja was dazu ein.

Konferenzen sind wie Frontalunterricht

Was mich am meisten an (wissenschaftlichen) Konferenzen stört, ist das dominante Modell des Vortrags. Konferenzen ähneln in dieser Hinsicht dem Frontalunterricht. Vorne steht eine(r), der/die was besser weiß, vorstellt, redet. Das ist wie in einer Schulstunde zeitlich eng begrenzt (der Konferenz-Vortrag dauert in der Regel nicht länger als 20 Minuten, ist also noch kürzer als eine Schulstunde). Und wie in einer üblichen Schulstunde, oder vielleicht auch einer universitären Vorlesung, gibt es –mit Glück– im Anschluss noch die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Der Experte vorne antwortet dann kurz, und Schluss. Diskussion? Meistens nicht, und wenn dann nur ansatzweise. Dialog, Kommunikation über den Vortrag, Vertiefung des Themas, Raum für die Anwesenden zum Reflektieren, Nacharbeiten, Aufschreiben, in einen persönlichen Kontext setzen? Träumer! Denn es geht dann sofort weiter mit der nächsten ExpertIn auf dem Podium, die dann das nächste (natürlich wichtige!) Projekt oder Forschungsergebnis vorstellen darf.

Frontalunterricht gilt mittlerweile in der modernen Didaktik zu Recht als veraltet und ineffizient. Es ist seit mindestens zehn, 20 Jahren lerntheoretisch weitgehend akzeptiertes Paradigma, dass Lernen etwas soziales ist, in irgendwelchen Formen von Interaktion stattfindet und immer etwas persönlich konstruiertes ist. Was da bei einem Vortragenden zu Lernenden Verhältnis von 1:n und dem Mangel an Kommunikation, Dialog und persönlicher Auseinandersetzung bei dem einzelnen hängen bleibt, ist reine Glückssache. Das gilt grundsätzlich auch für Wissenschafts-Konferenzen. Denn, mal ehrlich, an wieviele Vorträge der, sagen wir, letzten drei Jahre könnt ihr euch überhaupt noch erinnern, und wieviele davon haben euch inhaltlich wirklich weiter gebracht?

Science 2.0 und Conference 1.0

Nun hat sich dank Internet in den letzten Jahren da immerhin schon mal ein bisschen getan. Mit etwas Glück werden einige/viele/alle Vorträge einer Konferenz per Livestream übertragen. Das ist schon mal gut, weil es den ZuhörerInnen-Kreis erheblich erweitert. Das ändert aber noch gar nichts an dem oben geschilderten Problem. In Bezug darauf hat Twitter immerhin bisschen Fortschritt gebracht. Mensch kann via Twitter immerhin schon mal Kommentare während des Vortrags loslassen und –günstigenfalls– kurz mit anderen diskutieren, oder den Vortrag ergänzen. Das ist schön, hilft und geht in die richtige Richtung. Bloß geht tiefgehendere Auseinandersetzung wegen der Kürze der Zeit (20 Minuten während des Vortrags, siehe oben) oder der Kürze der Tweets natürlich auch nicht. Das ist also erstmal nichts anderes, als die klassische Konferenz (Conference 1.0, wenn man so will) mit wenigstens etwas Interaktion zu erweitern. Also vielleicht Conference 1.25.

Diese alte, veraltete, Form wird besonders dann störend auffällig, wenn sie in offensichtlichem Widerspruch zum Thema der Konferenz steht.

Letzte Woche war ich auf der Science 2.0 Conference in Hamburg. Bei dem Thema Science 2.0 (ich persönlich bevorzuge den Begriff Open Science) geht es um neue, offenere Formen der Wissenschaftskommunikation und -kollaboration, auch und gerade mit Hilfe des Internets. Von diesen neuen Formen war zwar auf der (inhaltlich guten) Konferenz viel zu hören, aber nichts zu spüren. Neue Formen von Kollaboration, die wir behandeln mit den alten Mitteln und Formen einer Wissenschaftskommunikation, die aus dem 19. Jahrhundert stammt?

Im Zuge von Open Science sollte dringend auch über Veränderungen dieser nicht mehr adäquaten Konferenzkultur nachgedacht werden. Da gibt es ja durchaus schon einige Ansätze (Barcamps, Sprints…), die KonferenzveranstalterInnen sich als Anregung nehmen könnten. Mir ist schon klar, dass das nicht so schnell gehen wird. Denn natürlich geht es bei Konferenzen auch um persönliche Reputation der ForscherInnen, um das Gesehenwerden, um das Positionieren, das Mitreden. Ähnlich wie das wissenschaftliche Publizieren in ‘renommierten’ Journals ist es durchaus ein ernstzunehmender Karrierefaktor, auf einer großen und/oder wichtigen Konferenz als RednerIn akzeptiert zu werden, sichtbar zu sein. Keine Ahnung, ob neue Formen da Adäquates leisten können.

Auch wenn ich einsehe, dass Frontalvorträge manchmal durchaus sinnvoll sein können (z.B. in Keynotes, die einen Rahmen abstecken), so ist doch offensichtlich, dass Science 2.0 auch bedeuten muss, dieses 1:n Konferenz-Modell zu überdenken. Es ist genauso überholt wie sein Pendant auf der Publikationsseite, das Veröffentlichen in nicht frei zugänglichen (Print-)Journals. Wir brauchen also auch Conference 2.0.

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